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Braucht die Schweiz eine Industriepolitik?

Die Frankenstärke hat zahlreiche Betriebe der MEM-Industrie zu teils drastischen Massnahmen gezwungen. Die Schweizer Industrie steht deshalb aber nicht vor dem Untergang. Sie braucht keine staatliche «Industriepolitik», um zum Erfolg zurückzufinden, sondern bessere Rahmenbedingungen.

Jean-Philippe Kohl, Leiter Wirtschaftspolitik

Die Lage der MEM-Industrie präsentiert sich fast eineinhalb Jahre nach Aufhebung der Euro-Untergrenze noch immer schwierig: Zwar zeichnet sich eine Bodenbildung ab, jedoch auf tiefem Niveau. Darauf deuten die jüngst leicht steigenden Auftragseingänge hin. Die Unternehmen haben in den letzten Monaten ihre Strukturen und Prozesse angepasst sowie auf Innovationen gesetzt, um ihre Wettbewerbsfähigkeit wieder zurückzugewinnen. Seit Aufhebung des Euro-Mindestkurses sind dadurch allein in der MEM-Industrie über 10 000 Arbeitsplätze verloren gegangen. Die Frankenstärke hinterlässt somit deutliche Spuren.

Besonders von linker Seite ertönen in solchen Situationen in schöner Regelmässigkeit Forderungen, mit staatlichen Unterstützungsmassnahmen, Programmen oder sogenanntem «Investieren in die Zukunft» (wie dies neuerdings bezeichnet wird) die Industrie «retten» zu müssen. Sie malen das schwarze Bild einer «Desindustrialisierung» der Schweiz an die Wand und blenden dabei aus, dass in der Schweiz nach wie vor knapp 20 Prozent der Wirtschaftsleistung durch das verarbeitende Gewerbe erbracht werden. Im europäischen Vergleich ist das ein Spitzenwert. Bei der Anzahl Beschäftigten hat kein Kahlschlag stattgefunden. Sie liegt heute auf dem Stand des Jahres 2006 und noch immer deutlich über jenem von 2003. Jetzt mit einer staatlichen Intervention zu reagieren, wäre falsch und würde mittelfristig direkt in die Sackgasse führen.

Der Versuchung widerstehen

«Industriepolitik» ist ein süsses Gift, das erst langsam wirkt. Zuerst stellt sich etwas Schmerzlinderung ein, insbesondere wenn der Staat den Unternehmen der betroffenen Branche Subventionen ausschüttet. Mittel- bis langfristig zeigt das Gift seine wahre toxische Wirkung: Der Strukturwandel wird behindert, indem der Status Quo zementiert wird. Der Produktivitätsfortschritt wird abgewürgt, die marktorientierte Innovation bleibt aus. Insgesamt verliert die Branche an internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Um die Schmerzlinderung aufrechtzuerhalten, muss die Dosierung mit laufend neuen Finanzmitteln oder sonstigen Interventionen erhöht werden. Nur so können die am Markt eigentlich nicht mehr überlebensfähigen Wirtschaftszweige überleben.

Die Schweiz hat dieser Versuchung in Bezug auf die Industrie bis jetzt widerstanden. Das sollte sie auch weiter tun. Denn wohin das führt, kennen wir in der Schweiz aus der Landwirtschaft. Sie ist geprägt von Staatsinterventionismus und Marktabschottung und muss jährlich mit mehreren Milliarden von staatlicher Seite unterstützt werden. In der Energiepolitik ist die Schweiz mit der Energiestrategie 2050 auf dem besten Weg, die Stromwirtschaft in ein industriepolitisches Korsett zu zwängen: Fast alle Formen der Stromerzeugung sollen künftig staatlich subventioniert werden, von heute nicht marktfähigen Technologien wie Solar und Wind bis hin zur Wasserkraft.

Mit Industriepolitik entscheiden nicht die Menschen oder der Markt, was gut oder zukunftsträchtig ist, sondern der Staat. Dabei wäre klar: Zukunftsfähig ist einzig ein wirtschaftspolitisches Umfeld, in welchem sich unternehmerisches Handeln und Kreativität frei entfalten können. Ein Umfeld, in dem staatliche Interventionen und Regelungen auf das Nötigste beschränkt sind.

Deshalb lehnt Swissmem eine «Industriepolitik» ab. Swissmem setzt sich aber ein für herausragende wirtschaftliche Rahmenbedingungen, offene Märkte, Unternehmertum sowie für Bildung, Forschung und Innovation. Damit halten wir die Schweiz fit, um schwierige Phasen überstehen zu können. Damit legen wir auch die Grundlage, um langfristig erfolgreich zu sein.

Jean-Philippe Kohl, Leiter Wirtschaftspolitik

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