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«Freihandel ist ein wesentlicher Treiber des Wohlstandes in der Schweiz»

Interview mit Aymo Brunetti, ordentlicher Professor für Wirtschaftspolitik und Regionalökonomie an der Universität Bern.

Aymo Brunetti

In verschiedenen europäischen Ländern gibt es immer wieder Proteste gegen eine weitere Liberalisierung des Handels. Warum fürchten sich die Menschen vor Freihandel?

Der Grund liegt wohl in der Angst vor dem Strukturwandel und damit verbunden um den eigenen Arbeitsplatz. In der Schweizer Volkswirtschaft ist aber in den letzten 50 Jahren durch den Strukturwandel fast kein Stein auf dem anderen geblieben. Dennoch hatten wir durch die gesamte Periode hindurch eine kontinuierlich steigende Beschäftigung und stets eine sehr tiefe Arbeitslosigkeit. Die Angst vor Freihandel ist in der Schweiz deshalb wohl etwas weniger ausgeprägt als in anderen Ländern.

Welchen Stellenwert hat Freihandel für die Schweiz?

Die Schweiz ist nur deshalb eines der reichsten Länder der Welt, weil sie sich schon früh in den internationalen Spezialisierungsprozess integriert hat. In der Regel gilt: Je exponierter ein Wirtschaftssektor gegenüber dem internationalen Wettbewerb, desto produktiver ist er und desto höher sind die Löhne. Der internationale Handel treibt sehr stark den Wohlstand in der Schweiz. Es wäre undenkbar, einen ähnlich grossen Reichtum in der Schweiz zu haben, wenn wir die Grenzen schlössen.

Was bringt Freihandel jedem einzelnen in der Schweiz?

Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern ist die Globalisierung in der Schweiz bisher nicht mit einer ungleicher werdenden Einkommensverteilung verbunden. Nicht zuletzt weil wir durch den internationalen Handel reich geworden sind, können wir die Wachstumsfrüchte auch in Umverteilungsmassnahmen stecken. Staatlichen Ausgaben wie z.B. Bildung, Forschung, Infrastruktur, Landwirtschaft oder Sozialausgaben sind so einfacher möglich. Die Vorteile der Globalisierung kommen in der Schweiz bei den meisten an.

Kritiker der bilateralen Verträge mit der EU behaupten oft, dass der WTO-Standard und das Freihandelsabkommen (FHA) von 1972 mit der EU völlig ausreichend seien. Es brauche deshalb die Bilateralen mit der EU nicht. Teilen Sie diese Meinung?

Das Argument, die Schweiz könne sich problemlos auf den WTO-Standard bzw. das FHA von 1972 beschränken, verstehe ich überhaupt nicht. Wer dies behauptet, hat wenig Ahnung von der engen wirtschaftlichen Vernetzung der Schweiz mit der EU. Beim FHA von 1972 und der WTO geht es in erster Linie um Zölle. Bei der Liberalisierung im EU-Binnenmarkt, an dem die Schweiz dank den bilateralen Verträgen teilnehmen kann, geht es aber nicht um Zölle sondern um den Abbau von nicht-tarifären Handelshemmnissen. Das betrifft insbesondere unterschiedliche technische Vorschriften und Produktanerkennungen. Diese sind viel einschränkender als Zölle! Ohne bilaterale Verträge riskieren wir, dass solche nicht-tarifären Handelshemmnisse im Verkehr mit der EU wieder entstehen – mit fatalen Kostenfolgen für die Exportindustrie.

Die EU hat doch auch kein Interesse, solche Hemmnisse wieder einzuführen

Diese Behauptung würde implizieren, dass die Schweiz die Vorteile aus den Bilateralen von der EU in jedem Fall garantiert hätte. Warum sollte die EU das tun? Sie würde sich völlig unglaubwürdig machen. Und die EU hat nicht a priori ein Interesse daran, uns das Leben möglichst einfach zu machen. Falls die Bilateralen fallen, ist die Motivation der EU, der Schweiz einen speziellen Deal zu gewähren, nicht besonders gross.

Die Landwirtschaft sperrt sich traditionell gegen eine Öffnung ihres Marktes. Wie könnte man Landwirtschaft dafür gewinnen?

Die Landwirtschaft in der Schweiz ist ein klassisches Beispiel. Wenn ein Sektor von der internationalen Konkurrenz abgeschottet wird, sinkt dessen Produktivität und damit die Wettbewerbsfähigkeit. Je länger man dies tut, desto mehr entsteht eine Struktur, die international nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Ich bin aber grundsätzlich optimistisch für die Schweizer Landwirtschaft für den Fall einer Öffnung des Agrarmarktes gegenüber der EU. Auch landwirtschaftliche Schweizer Produkte und Schweizer Spezialitäten können auf dem EU-Markt Erfolg haben. Eine solche Öffnung würde aber zu einem substanziellen Umbau des Sektors führen. Das funktioniert nur mit einer relativ langen Übergangsphase, die wohl mit staatlichen Strukturanpassungshilfen begleitet werden müssten.

Wo sehen Sie die Chancen und Gefahren von TTIP für die Schweiz?

Falls TTIP käme, würde dies eine deutliche Handelsumlenkung bewirken – und zwar weg von der Schweiz hin zum Handel zwischen der EU und den USA. Die Schweiz würde relativ zur EU und den USA stark an Wettbewerbsfähigkeit einbüssen. Wir hätten deshalb ein grosses Interesse, uns an TTIP anzuhängen. Dieses «Anhängen» ginge jedoch nur, wenn wir bei der Liberalisierung des Agrarmarktes einen Schritt machen. Falls dies verhindert würde, würden die anderen Branchen die Kosten der Schweizer Landwirtschaftspolitik zu spüren bekommen. Irgendwann wird es der Rest der Wirtschaft nicht mehr hinnehmen, dass aufgrund der Abschottung des Agrarmarktes in allen internationalen Verhandlungen kaum weitere Liberalisierungsschritte möglich sind.

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