Im Verlauf der Covid-19-Pandemie erliess der Bundesrat ab dem 13. März 2020 verschiedene Fassungen der Bestimmungen zum Schutz von besonders gefährdeten Personen. Zuerst in Art. 10b bzw. Art. 10c der Covid-19-Verordnung 2 und ab dem 18. Januar 2021 in Art. 27a der Covid-19-Verordnung 3 (AS 2021 5) wurden in detaillierter Form die Normen zum Schutz der Gesundheit von besonders gefährdeten Arbeitnehmenden erlassen. Dabei veränderte sich im Verlaufe der Zeit und aufgrund der Möglichkeit einer Impfung der Umfang der Personen, die tatsächlich unter den Begriff des besonders gefährdeten Arbeitnehmers subsumiert werden können.
Für diese besondere Risikogruppe, bei der eine Covid-19-Erkrankung tendenziell die erhöhte Möglichkeit eines schweren Verlaufs und einer Letalität hat, sieht die Verordnung im Sinne einer Kaskade immer weitergehende Schutzmassnahmen (Homeoffice, Zuteilung gleichwertiger Arbeit oder besondere Schutzmassnahmen am Arbeitsplatz) bis hin zur Freistellung unter Lohnfortzahlung vor.
Zeitlicher Kündigungsschutz gemäss Art. 336c OR
Art. 336c Abs.1 OR sieht unter lit. a-d vor, dass in gewissen Fällen der Arbeitnehmende bei einer Kündigung durch den Arbeitgeber nach Ablauf der Probezeit zeitlich einen Kündigungsschutz besitzt. Eine trotzdem ausgesprochene Kündigung ist dabei nichtig, beziehungsweise der Lauf der Kündigungsfrist wird bei einer bereits ausgesprochenen Kündigung durch die Sperrfrist unterbrochen. Zweck dieses zeitlichen Kündigungsschutzes ist es, dem Arbeitnehmenden die Arbeitsstelle zu erhalten, solange er verhindert ist, nach einer neuen zu suchen (BGE 124 III 346 E.1 sowie BGE 115 V 437).
Nachfolgend ist der in Art. 336c Abs. 1 lit. b OR geregelte Fall der unverschuldeten Arbeitsverhinderung durch Krankheit oder Unfall näher zu analysieren. Demnach darf nach Ablauf der Probezeit das Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber während 30 Tagen im ersten Dienstjahr, 90 Tagen im zweiten bis fünften und 180 Tagen ab dem sechsten Dienstjahr nicht gekündigt werden, wenn der Arbeitnehmende ohne eigenes Verschulden aufgrund von Krankheit oder Unfall ganz oder teilweise an der Arbeitsleistung verhindert ist.
Zeitlicher Kündigungsschutz von Art. 336c Abs. 1 lit. b OR auch für besonders gefährdete Arbeitnehmende?
Die in Art. 336c Abs. 1 lit. b OR aufgezählten Tatbestände sind gemäss Rechtsprechung und herrschender Lehre abschliessend und lassen keinen Raum für weitere Tatbestände, welche sich nicht entweder unter Krankheit oder Unfall subsumieren lassen. Weiter sind nur Gesundheitsstörungen relevant, die tatsächlich zu einer Arbeitsunfähigkeit führen und somit eine Auswirkung auf die Stellensuche haben.
Bei den besonders gefährdeten Arbeitnehmenden stellt sich die Frage, ob sie wie kranke Arbeitnehmende zu behandeln sind. Mitarbeitende, die eine besondere Gefährdung aufweisen, sind nicht direkt durch ihren Gesundheitszustand an der Arbeitsleistung verhindert. Vielmehr werden sie präventiv an der Arbeit verhindert. Die allgemeinen Voraussetzungen von Art. 336c Abs. 1 lit. b OR, wonach der Arbeitnehmende durch Krankheit oder Unfall ganz oder teilweise an der Arbeitsleistung verhindert sein muss sowie, dass der Zweck der Arbeitsverhinderung der Ausheilung der Krankheit oder des Unfalles dient, sind bei der vom Bundesrat eingeführten Kategorie der besonders gefährdeten Personen nicht erfüllt.
Daraus ist zu schliessen, dass die klare und abschliessende Aufzählung im Gesetz sowie der Zweck dieser Bestimmung wohl keine Erweiterung des in Art. 336c Abs. 1 lit. a OR festgelegten Kündigungsschutz auf die Kategorie der besonders gefährdeten Personen zulässt. Diese Rechtsauffassung wurde vom Arbeitsgericht Zürich im nachfolgend dargelegten Entscheid geteilt.
Neue Rechtsprechung des Arbeitsgerichts Zürich im Urteil AH210777 vom 27. August 2021
Im erwähnten Urteil befasste sich das Arbeitsgericht Zürich vor einigen Monaten erstmalig mit der Frage, ob eine besonders gefährdete Person im Sinne der eingangs beschriebenen Bestimmungen der Covid-19 Verordnung 2 in den Genuss des zeitlichen Kündigungsschutzes gemäss Art. 336c Abs. 1 lit. b OR kommt.
Nach Auffassung des Zürcher Gerichts muss der Arbeitnehmende gemäss Art. 336c Abs. 1 lit. b OR beweisen, dass er wegen Krankheit oder Unfall (ganz oder teilweise) an der Arbeitsleistung verhindert ist. Eine laut Covid-19-Verordnung 2 aufgrund einer Gefährdung notwendige Schutzmassnahme kann nicht ohne weiteres einer Krankheit gleichgestellt werden. Besonders gefährdete Personen sind demnach nicht durch Krankheit oder Unfall arbeitsunfähig, sondern sollen aufgrund ihrer gesundheitlichen Dispositionen von einer Ansteckung mit Covid-19 am Arbeitsplatz geschützt werden. Der Bundesrat hat zudem für den Fall einer absoluten Unmöglichkeit der Arbeitsleistung eine Freistellung mit Anspruch auf Lohnfortzahlung vorgesehen.
Das Zürcher Arbeitsgericht hält weiter fest, dass der Bundesrat beim Erlass der Vorschriften für besonders gefährdete Personen auch eine Regelung zum Kündigungsschutz dieser Kategorie von Personen hätte vorsehen können. Die Tatsache, dass er dies trotz umfangreicher Regelung nicht tat, bedeute, dass der Bundesrat einen solchen zeitlichen Kündigungsschutz nicht einführen wollte.
Das Arbeitsgericht Zürich stützt somit die oben beschriebene Lehrmeinung und sprach sich gegen eine Anwendung von Art. 336c Abs. 1 lit. b OR auf besonders gefährdete Personen im Sinne der Covid-19-Verordnung 2 aus.
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