Startseite Aktuelles «Die Nationalbank kann und wird die Euro-Untergrenze halten»
Ansprechpartner  Swissmem Swissmem
+41 44 384 41 11 +41 44 384 41 11 infonoSpam@swissmem.ch
Teilen

«Die Nationalbank kann und wird die Euro-Untergrenze halten»

Swissmem-Präsident Hans Hess nimmt im Interview Stellung zu der Frage, warum die SNB die Euro-Untergrenze verteidigen soll.

Was sagen Sie zur Einschätzung von Oswald Grübel und anderer Exponenten, dass sie den Schweizer Franken gegenüber dem Euro nicht über 1.20 halten wird können?
Ich teile diese Einschätzung nicht. Ich vertraue der SNB, dass sie die Untergrenze halten kann und halten wird. Solche Aussagen verunsichern die Leute enorm, laden die Spekulanten geradezu ein und machen die Verteidigung von 1.20 dadurch umso schwieriger und teurer.


Gemäss Medienmitteilungen verlangt auch der Gewerbeverband eine Exit-Strategie. Was sagen Sie dazu?
Die Exportindustrie ist ein wichtiger Kunde für viele Gewerbebetriebe. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es im Interesse des Gewerbes in der Schweiz ist, wenn die Industrie wegen eines noch stärkeren Frankens nicht mehr konkurrenzfähig ist und weg geht. Die Gewerbler werden bei einem noch stärkeren Franken den Druck von ausländischen Konkurrenten auch noch mehr zu spüren bekommen. Ich verstehe den Gewerbeverband wirklich nicht.


Man spricht von 66 Mrd. Franken, die die SNB in den vergangenen Monaten zur Verteidigung der Untergrenze einsetzen musste. Macht das Ihnen keine Sorgen?

Im Licht der Verunsicherung in Europa in den letzen zwei Monaten ist es nicht erstaunlich, dass die SNB massiv Franken verkaufen und Euro kaufen musste. Das kostet die SNB aber nichts, solange der Kurs bei 1.20 gehalten werden kann. Vor dieser Bilanzausweitung der SNB muss man deshalb auch keine Angst haben. Sie war zu erwarten. Die SNB darf jetzt keinesfalls die Nerven verlieren und die gesamte Politik muss unbedingt einen kühlen Kopf behalten.


Aber die SNB kann doch diese Strategie nicht ewig durchhalten.
Doch, das kann sie und das sollte sie auch tun. Eine Notenbank sollte ihre einmal eingeschlagene Strategie nicht einfach aufgeben. Teuer würde es für die ganze Volkswirtschaft und die SNB nämlich erst dann, wenn die Untergrenze nicht gehalten werden kann. Die SNB müsste die Euro-Bestände abwerten und die Abwertung als Verlust verbuchen. Und noch grösser wären die volkswirtschaftlichen Kosten für die Realwirtschaft. Deshalb muss die Devise heissen: die SNB muss Kurs halten und die Politik muss ihr dabei den Rücken stärken! Das ist das beste Rezept gegen Spekulanten und andere Probleme.


Was würde passieren, wenn die SNB die Untergrenze aufgeben würde?
Aufgrund der grossen Unsicherheiten an den internationalen Finanzmärkten müssten wir damit rechnen, dass der Franken wieder massiv aufgewertet wird. Wenn ich die Panikstimmung unter den Händlern ansehe, dann erinnert mich das stark an Juli und August 2011. Damals fiel der Frankenkurs innert kürzester Zeit auf Parität zum Euro. Die Konsequenzen für die Exportindustrie wären fatal. Noch viel mehr Firmen würden in die Verlustzone geraten.


Hat die Industrie eine Strategie bereit, wenn die Verteidigung der Untergrenze aufgegeben würde?
Ich weiss, dass die Unternehmen der SNB vertrauen. Aber nach den Ereignissen des letzten Augusts dürften die meisten Firmen Notfallszenarien erarbeitet haben. Eines ist klar: eine weitere Aufwertung des Frankens würde noch viel mehr Firmen in die Verlustzone treiben. Ein Teil der Firmen wäre gezwungen, ihr Geschäft aufzugeben. Andere müssten noch mehr im Ausland einkaufen und zahlreiche Firmen würden beschleunigt Arbeitsplätze ins Ausland verlegen.


Der Franken scheint sich in absehbarer Zeit sicher nicht abzuwerten, auch wenn die Untergrenze weiter verteidigt wird - was bedeutet dies für die Schweizer Industrie?
Die Industrie hat die harte Pille der 1.20 zum Euro geschluckt und ist daran, diese zu verdauen. Durch die höhere Inflation in Europa wird sich die Kaufkraftparität von heute rund 1.35 in den nächsten Jahren gegen 1.20 absenken. Das würde den Firmen wieder gleichlange Spiesse wir ihre ausländischen Konkurrenten geben.


Wie viele Arbeitsplätze sind gefährdet?
Das kann ich nicht sagen. Aber bei einer weiteren raschen und massiven Aufwertung des Frankens sind potenziell die exportierenden Industrien wie Maschinen-, Elektro-, Metall- aber auch Chemie-, Pharma-, Biotech-, Papier- und Textilindustrie sowie der Tourismussektor gefährdet.


Ökonomen meinen, dass wegen der Eurokrise und der damit verbundenen Inflation die Kaufkraftparität sinkt. Was heisst es für die Industrie, wenn sich die Kaufkraftparität tatsächlich den 1.20 annähert?
Falls sich die Kaufkraftparität in den nächsten Jahren 1.20 annähert und der Wechselkurs stabil bleibt, dann würde sich das positiv auf die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Exporteure auswirken.


Inwiefern spürt die Schweizer Industrie die Eurokrise? (Jan-Egbert Sturm meinte heute im Tages-Anzeiger, dass es der Schweizer Wirtschaft ausgezeichnet gehe)

Ja, im Vergleich zu anderen Ländern geht es der Schweizer Wirtschaft gut. Die Schweizerinnen und Schweizer stützen mit ihrem Konsum die Konjunktur und die Baubranche und die Baunebenbranchen leben sozusagen im Schlaraffenland. Aber den erwähnten exportorientierten Branchen wie der Industrie und dem Tourismus geht es schlecht.


Im vergangenen Herbst warnten sie noch vor einem massiven Stellenabbau auf Anfang 2012. Dieser blieb glücklicherweise aus. Weshalb kam es doch nicht so schlimm wie sie erwartet hatten?
Vor der Festlegung des Mindestkurses von 1.20 durch die SNB musste die Industrie wirklich das Schlimmste befürchten. Der Mindestkurs hat die Situation beruhigt und Stabilität gebracht. Zudem haben die Industriefirmen schon seit 2009 gehandelt und viele Massnahmen getroffen, um der zunehmenden Frankenstärke zu begegnen. Diese haben sich positiv ausgewirkt. Ein weiterer Grund ist, dass sich die Weltwirtschaft seit Herbst 2011 weniger stark abgekühlt hat als damals erwartet. Wenn ich jedoch in die nahe Zukunft blicke, bin ich nicht mehr so optimistisch. Die Auftragseingänge in der MEM-Industrie sind seit einem Jahr zum Teil deutlich rückläufig. Und der PMI, ein wichtiger Vorausindikator liegt zurzeit europaweit unter der Wachstumsgrenze von 50%. Das sind schlechte Vorzeichen.