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Von Additive Manufacturing zu Advanced Manufacturing

In den letzten Jahren wurden auf den Gebieten additive Fertigung und Industrie 4.0 grosse Fortschritte erzielt – mit tiefgreifenden Auswirkungen auf die industrielle Produktionsweise. Wir ordnen Additive Manufacturing innerhalb der zukunftsorientierten Fertigungsverfahren ein, Ralf Schindel von der prodartis AG ergänzt im Gespräch aus praxisorientierter Sicht.

Die additive Fertigung («Additive Manufacturing, AM) ist seit nunmehr über 20 Jahren in aller Munde und hat in vielen industriellen Anwendungsbereichen erfolgreich ihre Tauglichkeit unter Beweis gestellt. Additive Fertigung eröffnet der Industrie nicht nur einen neuen Weg, um hoch komplexe Bauteile zu fertigen, sondern ermöglicht neue Innovationspotenziale in praktisch allen industriellen Branchen. Dies ist gerade für die Schweizer Industrie von herausragender Bedeutung, um im internationalen Wettbewerb weiterhin die besten Technologien und Lösungen bereitstellen und auf aktuelle Trends wie z.B. Energiebedarf und Nachhaltigkeit von Maschinen und Produkten reagieren zu können.

Ein etwas neuerer, aufkommender Begriff ist «Advanced Manufacturing». Dieser ist umfassender und geht wesentlich über die Bedeutung des Additive Manufacturing hinaus. Der Begriff umfasst im Grunde genommen die intelligente Kombination von Prozessen und Technologien, um noch bessere Lösungen im Hinblick auf Kosten, Produktivität und Qualität von Produkten liefern zu können.

Advanced Manufacturing ist im Metallbereich bereits etwas weiterverbreitet als im Kunststoffbereich. So entwickelt sich die additive Herstellung grosser Bauteile bis in den Meterbereich mittels «Direct Energy Deposition» (DED) zu einem eigentlichen Trend. Die dabei hergestellten Bauteile erfüllen in der Regel kaum jegliche Genauigkeitsanforderungen, weshalb diese nachträglich, oder abwechselnd mit DED, konventionell nachbearbeitet werden. Die Vorteile liegen auf der Hand: Ein Abstrich an Genauigkeit erlaubt hohe additive Aufbauraten, während eine hohe Bauteil-Genauigkeit und Qualität mittels konventioneller Bearbeitung kostengünstig und rasch erreicht werden können.

«Die Flexibilität des Verfahrens steigert die Effizienz und Wirtschaftlichkeit, gleichzeitig werden Ressourcen geschont.»

Die prodartis AG ist seit 10 Jahren einer der erfolgreichsten AM-Dienstleister im Kunststoffbereich. Geschäftsführer Ralf Schindel äussert sich zum Potenzial in dieser Sparte, den sich abzeichnenden Entwicklungen und wie das Unternehmen sich in der Nachhaltigkeit engagiert.

Wie beurteilen Sie den Trend im Metallbereich? Ist zu erwarten, dass «Advanced Manufacturing» auch im Kunststoffbereich Einzug hält?

Ralf Schindel: Die kunststoffverarbeitenden Pulverbettverfahren – allen voran das Selective Laser Sintering oder die Multi Jet Fusion Technologie – erlauben, mehrere Bauteile nebeneinander, übereinander und sogar ineinander, gestapelt während einem Prozesslauf quasi über Nacht herzustellen. So können tausende Teile werkzeuglos sehr effizient und wirtschaftlich hergestellt werden. Auch Stützstrukturen wie man sie von der additiven Fertigung von Metallteilen kennt, braucht es nicht.

Diese verfahrensspezifischen, sehr wertvollen Vorteile haben dazu geführt, dass wir heute bereits mehrere zehntausend Bauteile wirtschaftlich additiv produzieren. Somit muss der Kunde zukünftig auch die SLS- oder MJF-Technologie in seiner Analyse zur Fertigungstechnologie miteinbeziehen.

Was dabei oft vergessen geht ist, dass nach dem 3D-Drucken nicht Schluss ist. Das gilt sowohl für Metall wie auch für Kunststoff. Die Bauteilqualität wird nicht nur durch das 3D-Druckverfahren bestimmt, sondern auch durch all die möglichen Nachbearbeitungsverfahren. So werden die gedruckten Teile gestrahlt, verdichtet, chemisch dampfgeglättet, mechanisch nachbearbeitet, gefärbt oder beschichtet und zu guter Letzt geprüft. Allein der Fakt, dass wir nennmass-abhängig von einer Toleranz von 0.1mm und mehr sprechen, verlangt für viele Bauteilanforderungen eine mechanische Nachbearbeitung von Flächen mit einer engeren Toleranz. Die Qualität wird durch die Technologiekombination bestimmt. Und wenn dieser Technologiemix noch mit dem passenden MES digitalisiert wird, ist Advanced Manufacturing perfekt.

Wo sieht sich die prodartis AG auf dem Weg zu Advanced Manufacturing? Welche Prozess- und Technologie-Kombinationen versprechen zukünftig den grössten Nutzen?

Ralf Schindel: Mit unserer sehr pragmatischen Vorgehensweise wenden wir Advanced Manufacturing bereits an. Bei Bauteil-Anfragen werden die Anforderungen sehr detailliert abgeklärt. Nur mit einem klaren Verständnis des Einsatzgebiets des angefragten Bauteils können wir das richtige Material und das passende Verfahren empfehlen. Und dabei ist die Lösung keineswegs immer additiv, sondern oft ist auch ein Werkzeug oder konventionelles Fräsen und noch öfter die additive Fertigung kombiniert mit Fräsen die richtige Lösung. Auch schon, aber noch selten, wurden unsere additiv gefertigten Teile als Einlegeteile verwendet und umspritzt.

Mit innovativen Produkten und Technologien kann die Tech-Industrie auch dem wachsenden Druck nach kontinuierlichen Verbesserungen im Bereich der Nachhaltigkeit begegnen. Was unternimmt die prodartis, um die eigene Nachhaltigkeit zu steigern?

Ralf Schindel: Die prodartis AG ist Mitglied bei Swiss Triple Impact (STI) und wird von STI gecoacht beim Definieren und Erreichen von Sustainable Development Goals (SDGs). Seit April 2023 sind wir bei der STI gelistet mit vier Nachhaltigkeitszielen.

Wegen unserem auslastungsbedingten hohen Verbrauch an Pulvermaterialien hat eine materialseitige Massnahme einen sehr grossen Impact. Deshalb kaufen wir heute ein SLS PA12 Pulvermaterial ein, welches nur mit nachhaltiger Energie produziert wurde. Der Einstandspreis ist etwas höher, dafür hat das Material einen um beinahe 50% reduzierten CO2-Footprint.

Mit unserer spezifischen Abwasseraufbereitungsanlage für den Färbeprozess wurde viel Abwasser eingespart und die Transportkilometer zur Abwasserentsorgung konnten stark reduziert werden. Die Anlage ist bereits amortisiert, was bestätigt, dass Nachhaltigkeit auch wirtschaftlich Sinn machen kann.

Die Industrie muss also kontinuierlich und flexibel auf sich ändernde Rahmenbedingungen reagieren.Kann «Advanced Manufacturing» einen besonderen Nutzen bringen, welcher über reine Effizienz- oder Qualitätsfragen hinausgeht?

Ralf Schindel: Ob Kriege oder Pandemien: Krisen bergen Marktrisiken wie z.B. aufbrechende Lieferketten. Ein bekanntes Schreckensszenario: Der Markt eines neu gelaunchten Produkts bricht ein und die vollen Teilelager bleiben voll. Die Bauteile sind bezahlt, aber der Verkauf stockt.

Die wertvolle Flexibilität von Advanced (Additive) Manufacturing ist bedingt durch die werkzeuglose Fertigung. Hohe Werkzeuginvestitionen entfallen, Lieferzeiten werden stark reduziert und die Bauteile erst bestellt und gefertigt, wenn die Verkaufszahlen konkret und bekannt sind – das ist Production on Demand. Und bezahlt wird nach Erhalt – you pay what you get! Damit wird das Risiko, in einen neuen Markt zu investieren, stark reduziert.

Und als ebenso wertvoller Zusatznutzen muss der Nachhaltigkeitsgewinn erwähnt werden, denn nicht abgerufene zu entsorgende Lagerbestände sind passé. Wertvolle Ressourcen, Material und Energie werden geschont.    

Braucht es Ihrer Meinung nach weiterführende Hilfsmittel, z.B. eine Software, die bereits im Designprozess ermöglicht, den Einfluss verschiedener Herstellmethoden und Technologiekombinationen zu analysieren?

Ralf Schindel: Wir beraten unsere Kunden in Bezug auf die geeignete Fertigungsmethode ihrer Bauteile und sind überzeugt, dies auch ohne Software gut zu machen. Bei der Bauteilauslegung hingegen könnte eine Software unterstützen. So würde z.B. ein jeweiliger Topologieoptimierungs-Designloop bei jedem Bauteil dieses gewichtsreduziert gestalten und viel Material und damit Energie einsparen. Damit würde das Advanced Manufacturing einen Nachhaltigkeitsschub erhalten. Sehr hilfreich wäre, wenn das Software-Tool auch gleich die Energieeinsparung des optimierten Bauteils während seines Einsatzes analysieren und den Carbon Footprint oder die Umweltbelastungspunkte (UBPs) vor und nach der Topologieoptimierung visualisieren könnte.

Mit der vorher erwähnten Ressourceneinsparung durch das Production on Demand und der damit verbundenen Lagerbestandsreduktion sowie der Ermöglichung von allgemein leichteren Bauteilen dürften wir durchaus heute schon von «Sustainable Advanced Manufacturing» sprechen!

Netzwerk Swiss Additive Manufacturing Group

Swissmem unterstützt Mitgliedfirmen in den Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit und bietet mit der Swiss Additive Manufacturing Group (SAMG) auch ein spezifisches Netzwerk an. Dieses vereinigt Firmen, die im Gebiet der Additiven Fertigung als Entwickler, Planer, Hersteller, Zulieferer, Ausrüster, Dienstleister oder im Engineering tätig sind. Hier finden Sie weitere Informationen zum Industriesektor. Interessierten Unternehmen steht Adriaan Spierings, a.spieringsnoSpam@swissmem.ch, zur Verfügung.

 

 

Swiss Additive Manufacturing Group

Die Swiss Additive Manufacturing Group vereinigt Firmen, die im Gebiet der Additiven Fertigung als…

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Letzte Aktualisierung: 08.03.2024