Heute deckt die Tech-Industrie rund 57 Prozent ihres Energiebedarfs mit Strom und 32 Prozent mit Gas. Auf dem Weg zu Netto-Null bis 2050 wird die Elektrifizierung weiter zunehmen und damit auch der Bedarf an zuverlässiger Stromversorgung. Strom wird zum entscheidenden Standortfaktor für die Schweizer Tech-Industrie. Für deren Wettbewerbsfähigkeit ist es daher zentral, dass Strom sicher, klimaverträglich und wirtschaftlich tragbar bleibt. Kernkraftwerke können einen wesentlichen Beitrag dazu leisten:
- Sie tragen zu einem tieferen Strompreis bei, wenn man Energiepreis und Netzentgelt gemeinsam betrachtet. Ihre Stromgestehungskosten (Rp./kWh) sind mit jenen moderner Windkraftanlagen oder grosser Photovoltaikparks vergleichbar. Auf Systemebene jedoch erweist sich ein Strommix mit Kernenergie als kostengĂĽnstiger, als wenn ausschliesslich auf volatile erneuerbare Quellen wie Wind und Sonne gesetzt wird. Der Grund liegt im geringeren Bedarf an teuren Backup-Kraftwerken fĂĽr Zeiten ohne Wind und Sonne (Dunkelflauten) sowie in einem deutlich reduzierten Ausbau der kostenintensiven Netzinfrastruktur zur Erschliessung dezentraler Produktionsstandorte.
- Kernkraftwerke sind grundlastfähig und liefern verlässlichen Strom zu jeder Tages- und Jahreszeit. In einem Strommix mit steigendem Anteil an Photovoltaik, aber ohne nennenswerte Windenergie, wird die Versorgung mit Winter- und Nachtstrom zunehmend zur Herausforderung. Für energieintensive und hochautomatisierte Industriebetriebe mit 24/7-Produktion ist ein «Arbeiten nach der Sonne» keine Option. Mit dem geplanten Produktionsende von Beznau I und II,Gösgen und Leibstadt wird bis voraussichtlich Mitte der 2040er-Jahre eine enorme Menge an Grundlastkapazität (über 20 TWh) wegfallen.
- Sie sind klimafreundlich und verursachen ähnlich geringe Treibhausgasemissionen wie Wasser- und Windkraft.
Die Aufhebung des Neubauverbots für Kernkraftwerke im indirekten Gegenvorschlag zur Blackout-Initiative erweitert den energiepolitischen Handlungsspielraum. Der Bundesrat sendet mit der Vorlage, die derzeit im Parlament beraten wird, eine wichtige Botschaft: Die Kernenergie kann künftig Teil der langfristigen Versorgungssicherheit sein und die Nuklearforschung soll wieder gestärkt werden. Schliesslich muss ein grosser Mythos aus der Welt geschaffen werden: Eine Aufhebung des Neubauverbots für Kernkraftwerke bremst den Ausbau der erneuerbaren Energien nicht. Wer das denkt, der irrt. Die wahren Bremser oder gar Verhinderer sind Umwelt-NGOs, die am Sonntag den Ausbau der Erneuerbaren predigen und am Montag die Einsprache schreiben. Der WWF Wallis, Pro Natura Wallis und die Stiftung Landschaftsschutz bekämpfen die geplante Alpen-Solaranlage Gibidum oberhalb von Visperterminen (45 GWh). Der Grimselverein bekämpft das Wasserkraftwerk Trift (145 GWh). Und der Verband Freie Landschaft Schweiz bekämpft Windkraftanlagen ganz grundsätzlich.
Die zunehmende Elektrifizierung für Netto-Null bis 2050 erfordert einen von Swissmem voll unterstützten massiven Ausbau der erneuerbaren Energien sowie eine Steigerung der Energieeffizienz. Kernenergie soll aber, auch für die Wettbewerbsfähigkeit der Tech-Industrie, mittel- bis langfristig als Option erhalten bleiben.
Gastkommentar von Jean-Philipp Kohl, Vizedirektor und Leiter Wirtschaftspolitik, Tages-Anzeiger 22.10.2025
