Startseite Wissen Technologien Zukunft der Mobilität: «Die Tech-Industrie ist herausgefordert»
Ansprechpartner  Christoph Blättler Christoph Blättler
Ressortleiter
+41 44 384 48 25 +41 44 384 48 25 c.blaettlernoSpam@swissmem.ch
Teilen

Zukunft der Mobilität: «Die Tech-Industrie ist herausgefordert»

Für Professor Thomas Sauter-Servaes von der ZHAW, ist klar: «Der Verkehr von morgen muss mit weniger Autos gelingen.» Er erläutert, welche Schritte dafür nötig sind – und was dies für die Schweizer Tech-Industrie bedeutet.

Herr Professor Sauter-Servaes, mit welchem Verkehrsmittel werden Sie im August ans Swissmem Symposium nach ZĂĽrich reisen?

Ich bin wahrscheinlich der einzige Mobilitätsprofessor, der regelmässig bei Volkswagen referiert und trotzdem keinen Führerschein besitzt. Da ich in Zürich lebe, werde ich den öffentlichen Verkehr (öV) oder das Velo zur Anreise nutzen. Beides sind tolle Optionen: In Tram und Bus kann ich entspannt die Zeit für ein paar E-Mails oder Buchzeilen nutzen. Auf dem Velo bin ich ganz nah dran am Zürcher Stadt- und Mobilitätsleben. Nicht selten komme ich dabei auf neue Ideen für die von mir geleiteten Ingenieurstudiengänge «Mobility Science» und «Europäische Bahnsysteme».

Die Mobilitätswelt wandelt sich – gleichzeitig befinden wir uns in einer Zeit der digitalen Transformation: Wie spielen diese beiden Bewegungen zusammen? Werden wir uns in einigen Jahren zum Beispiel vermehrt in virtuellen Räumen begegnen? Was heisst das für die Mobilität?

Seit der Corona-Pandemie hat der virtuelle Raum enorm an Bedeutung gewonnen. Egal ob wir im Chat mit Forschenden in Bahrain diskutieren, per Microsoft Teams an einer Konferenz teilnehmen oder uns via WhatsApp mit der Familie in Berlin austauschen: Diese Form von digitaler Mobilität ist für viele von uns schon fester Bestandteil unseres Alltags. Das heisst aber nicht, dass dieser neue, fünfte Verkehrsmodus nur substituierend wirkt. Vielmehr kann er erst recht zum Aufbau neuer Kontakte beitragen oder bestehende intensivieren. Und als soziale Wesen, die wir weiterhin sind, führt das häufig zum Wunsch nach Begegnungen im realen Raum. Darauf möchte sicherlich niemand verzichten.

Die Schweiz will bis 2050 die Treibhausgasemissionen auf Netto-Null reduzieren. Von Batterie, Wasserstoff bis Verbrenner, autonomen Fahrzeugen, E-Mobilität, Eisenbahn bis Schiff: Welche Antriebstechnik, welche Fortbewegungsmittel bringen uns aus Ihrer Sicht diesem Ziel näher? Im Individualverkehr? Im Güterverkehr?

Wir müssen uns in jedem Fall von der Vorstellung verabschieden, dass es die eine technische Lösung geben wird, die uns von unseren Emissionsproblemen befreien wird. Stattdessen braucht es eine clevere Mischung aus effizienter Hightech und resilienter Lowtech. Einer der wichtigsten Hebel ist der motorisierte Individualverkehr. Hier haben wir durch die Kombination des Elektromotors mit erneuerbaren Energien eine technisch superiore Alternative zum bislang dominierenden fossilen Verbrennungsmotor. Diese müssen wir dringend schneller in den Markt bringen. Hinsichtlich der Gesamteffizienz sind Wasserstoff oder synthetische Treibstoffe keine sinnvollen Alternativen im Vergleich zum batterieelektrischen Fahrzeug. Das Rennen ist längst entschieden. Gleichzeitig muss allen klar sein, dass die Antriebswende allein uns nicht auf den Netto-Null-Pfad bringen wird. Nur wenn wir die Rahmenbedingungen für öV, Velo- und Fussverkehr deutlich attraktiver gestalten und die Verkehrsflächen in unseren Städten neu verteilen, werden wir das Klimaziel erreichen.

Wird sich denn künftig noch jeder Mobilität leisten können? Und was heisst das für künftige Konzepte im öffentlichen Verkehr?

Mobilität heisst Teilhabe, die muss auch zukünftig für alle sichergestellt sein. Entsprechend muss das Design für unser Mobilitätssystem aussehen. Paris ist mit seinem 15-Minuten- Stadt-Ansatz sicherlich ein Leuchtturm in Europa. Das Konzept sieht vor, dass alle Einwohnerinnen und Einwohner innerhalb von 15 Minuten alle wichtigen Ziele zu Fuss oder per Velo erreichen können. Kombiniert mit einem starken öV-System resultiert daraus ein infrastrukturelles Grundgerüst, dass mit wenig Verkehr und geringem Flächenbedarf sehr viel Mobilität kostengünstig ermöglicht. Die Schweiz hat beste Voraussetzungen, dieses Modell sinnvoll zu adaptieren. Vor diesem Hintergrund wird ein Mobility Pricing-System, das wir dringend für die faire verursachergerechte Bepreisung des Verkehrs und die Finanzierung unserer Infrastruktur benötigen, am Ende bedeutend mehr Gewinnende als Verlierende hervorbringen.

Wie ist die Schweiz in Fragen rund um die Mobilität in der Forschung aufgestellt: Welchen Bereichen müsste sie allenfalls noch mehr Aufmerksamkeit schenken?

Die Verkehrsforschung weiss im Grundsatz schon seit Jahren, wie nachhaltige Mobilitätskonzepte zu gestalten sind. Nur leider können diese bislang kaum ohne Zielkonflikte mit unserem bisherigen Konsum- und Lebensstil realisiert werden. Entsprechend gross sind die Widerstände. Wir müssten insbesondere unsere Mobilitätsroutinen ändern und die erweisen sich als hartnäckig stabil. Obwohl vielen von uns durchaus bewusst ist, dass eine andere Art der Fortbewegung bedeutend gesünder für uns und unsere Mitmenschen wäre. Uns Forschenden ist es noch zu wenig gelungen, stadt- und klimaverträglichere Verkehrsangebote zu kreieren, welche in grossem Umfang zum Umstieg auf grünere Lösungen «verführen». Ohne diese Alternativen werden sich aber die notwendigen flankierenden Massnahmen mit stärkeren Regulierungen wie Mobility Pricing und neue Strassenaufteilungen nicht durchsetzen lassen. Das Schweizer Microcar Microlino ist ein wunderbares Beispiel für zukunftsweisende Innovationen, von denen wir in der Schweiz dringend mehr brauchen und die wir regulatorisch fördern müssen. Mit Mobility kommt eines der erfolgreichsten Carsharingsysteme aus der Schweiz, das weltweit erste Cargobike-Sharing Carvelo wurde hier erfunden. Auf diesen Innovationen müssen Forschung und Industrie gemeinsam aufbauen und weitere Ideen für die Mobilitätswelt von morgen entwickeln.

«Mittel- bis langfristig wird sich die Elektrifizierung des Verkehrs durchsetzen.»

Prof. Dr.-Ing. Thomas Sauter-Servaes

 

Welchen Fragen mĂĽssten wir als Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit schenken? Wo mĂĽssten wir in neuen Konzepten denken, die fĂĽr uns jetzt noch gar nicht vorstellbar sind?

Ein Aspekt ist sicherlich der Luftverkehr. Die Stadt-Zürcherinnen und -Zürcher fliegen gegenwärtig im Durchschnitt10 000 km pro Jahr. Das ist eine Verfünffachung gegenüber 1990 und verursacht 3,3 Tonnen CO2-Äquivalente pro Kopf und Jahr. Das ist mit Abstand der grösste Einzelposten in der persönlichen Mobilitätsklimabilanz – und es ist mehr als die Zürcherinnen und Zürcher im ganzen Jahr für Ernährung oder Konsumartikel an Treibhausgasen emittieren. Wir brauchen daher viel schneller massiv mehr CO2-neutrale synthetische Treibstoffe für den interkontinentalen Luftverkehr, sogenanntes Sustainable Aviation Fuel. Innereuropäisch muss die Qualität der grenzüberschreitenden Tag- und Nachtzüge deutlich gesteigert werden. Schon heute sind der Tageszug nach Frankfurt und der Nachtzug nach Berlin überlegene Gegenangebote zum treibhausgasintensiven Kurzstreckenflieger. Morgen muss das dann ebenso für Barcelona, London und viele weitere Destinationen gelten. Dafür braucht es aber ein Äquivalent zum Airbus A 320 auf Schienen: hoch standardisiert, in grossen Stückzahlen gefertigt, europaweit einsetzbar. Da gibt es für Politik, Forschung und Industrie noch viel zu tun und die Schweiz mit ihrer hoch angesehenen Bahnindustrie sollte unbedingt ein aktiver Teil der europaweiten Bahnrenaissance sein. An der ZHAW School of Engineering sind wir gerade dabei, gemeinsam mit europäischen Partnern am Rollmaterial für den Nachtzug der Zukunft zu forschen.

Sinkende Stückzahlen durch E-Mobilität, autonome Fahrzeuge und Car-Sharing stellen besonders auch den Produktionssektor vor neue Herausforderungen. Das 23. Swissmem Symposium widmet sich daher dem Thema «Mobilitäts-Revolution: Tech-Industrie in der Sackgasse?» Ist die Tech-Industrie aus Ihrer Sicht durch die aktuellen Entwicklungen bedroht?

Die Tech-Industrie ist sicher nicht bedroht, aber ernsthaft herausgefordert. Der Verkehr von morgen muss mit weniger Autos gelingen. Sonst scheint weder der Verkehrs- noch der Klimakollaps abwendbar. Das wird neue Fahrzeugkonzepte erfordern, die viel stärker den Anforderungen einer Kreislaufwirtschaft genügen. Davon sind wir noch weit entfernt. Der Polestar 3, ein zeitgemäss gestaltetes Elektroauto, weist allein in der Herstellung einen Klimafussabdruck von knapp 25 Tonnen Kohlendioxid auf. Da ist das Auto noch keinen Zentimeter gefahren. Wollen wir die planetaren Grenzen nicht überschreiten, darf theoretisch jeder Erdenbürger nicht mehr als 0,6 Tonnen CO2 pro Jahr emittieren. Das zeigt, wie weit der Weg noch ist und wie viele technische Innovationen wir gerade im Verkehrsbereich in der nahen Zukunft noch benötigen. Denn anders als alle anderen Sektoren wie Landwirtschaft, Industrie oder die privaten Haushalte, weist der Verkehr gegenüber 1990 keinen Rückgang der Emissionen auf – sie steigen sogar wieder. Da knapp 40 Prozent der gesamten Schweizer Treibhausgasemissionen aus dem Verkehr stammen, besteht hier dringender Handlungsbedarf.

Was schlagen Sie vor?

Hochautomatisierte Fahrzeuge, wie wir sie demnächst im Furttal testen, sind ein geeigneter Schritt, um unsere Verkehrsbedürfnisse mit weniger Fahrzeugen abzuwickeln. Dank dem Übergang zum Software-defined Vehicle (SDV) werden sich geteilte Mobile für die jeweilige Nutzungszeit extrem bequem auf unsere persönlichen Vorlieben einrichten lassen – fast wie beim heutigen Privatauto. Das könnte eine neue Sharing-Ära einläuten. Dass diese Fahrzeuge durch regelmässige Software-Updates eine längere Nutzungszeit und geringere Wertverluste verzeichnen werden, wird sich auch im Qualitätsanspruch an Karosserie & Co. widerspiegeln. Dies harmoniert ebenso mit dem Qualitätsversprechen der Schweizer Tech-Industrie wie der anhaltende Trend zu mehr Megacasting-Lösungen in der Fahrzeugfertigung.

Wie sollten sich Schweizer Unternehmen der Tech-Industrie kĂĽnftig positionieren, um fĂĽr diese Entwicklungen gerĂĽstet zu sein?

Sie müssen ihre Innovationsstärke erhalten und dabei weiter fokussiert an nachhaltigeren Lösungen arbeiten. Angesichts der Signale aus Amerika und der EU erscheint zumindest eine zwischenzeitliche Renaissance des Verbrennungsmotors auf der Strasse möglich, sollte aber von der Schweizer Wirtschaft keinesfalls befeuert werden. Mittel- bis langfristig wird sich die Elektrifizierung des Verkehrs durchsetzen. Im wichtigsten Absatzmarkt China ist die Zeitenwende schon vollzogen. Insgesamt scheint mir das Thema Elektrifizierung auf Basis erneuerbarer Energien global ein entscheidender Megatrend zu sein, der in den kommenden Jahren weiter an Fahrt gewinnen wird. Das ist nicht nur ein Klimathema, sondern ebenso eine Frage von energiepolitischer Souveränität und letztlich von Preisstabilität. Hier kann gerade die Schweizer Personenwagenflotte als riesige Schwarmbatterie ein zusätzlicher Treiber sein. Das Auto wird zum Batteriekraftwerk, Verkehrs- und Energiesektor werden zunehmend konvergieren. Es wäre daher erstrebenswert, dass die Schweiz beispielsweise beim Thema bidirektionales Laden als Pionier vorangeht. Die Unternehmen können durch eine multimodale Firmenmobilität – Stichwort Mobilitätsbudget statt Dienstwagen – und insbesondere die Elektrifizierung ihrer Fahrzeugflotten einen wesentlichen Beitrag leisten. 2024 wurden mehr als die Hälfte der Neuwagen in Europa auf Unternehmen zugelassen. Das ist ein gewaltiger Hebel, um die Effizienzrevolution auf der Strasse zu beschleunigen – und gleichzeitig die Mobilitätskosten zu reduzieren.

Letzte Frage: Wie wĂĽrden Sie gerne in zehn Jahren ans Swissmem Symposium reisen?

Es wäre grossartig, wenn ich in zehn Jahren erneut mit dem öffentlichen Verkehr anreise, sich mir dabei aber ein anderes Strassenbild bietet. Eines, in dem mehr Fahrzeuge geteilt werden, auch weil dies durch hochautomatisierte Fahrzeuge viel einfacher geworden ist. Und in dem mehr Fläche für gesundheitsfördernde aktive Mobilität zur Verfügung steht. Attraktive Schweizer Velomarken wie Flinc oder Monopole gibt es genug, die einen kreativen Beitrag dazu leisten können.

23. Swissmem
Symposium 2025

Mehr erfahren

Werkzeugmaschinen

Der Industriesektor Werkzeugmaschinen vereinigt Schweizer Hersteller von Werkzeugmaschinen.

Mehr erfahren

Diese Artikel könnten Sie interessieren

Letzte Aktualisierung: 20.05.2025