Startseite Wissen Technologien Mobilität der Zukunft: «Es gilt die Weichen richtig zu stellen»

Mobilität der Zukunft: «Es gilt die Weichen richtig zu stellen»

Swissmem-Präsident Martin Hirzel zur aktuellen Lage der Tech-Industrie, zu künftigen Herausforderungen und möglichen Chancen, die sich für Schweizer Unternehmen durch den Mobilitätswandel ergeben.

Das Veranstaltungsmotto des 23. Swissmem Symposiums lautet diesmal: «Mobilitäts-Revolution: Tech-Industrie in der Sackgasse?» Martin Hirzel, ist einer der Referenten des Symposiums und stand der «Technischen Rundschau» im Vorfeld für eine Interview zum Thema zur Verfügung.

Herr Hirzel, wie stellt sich die aktuelle Situation in der Schweizer Tech-Industrie dar?

Die Lage in der Schweizer Tech-Industrie (Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie sowie verwandte Technologiebranchen) ist schon seit längerer Zeit angespannt. Im vergangenen Jahr reduzierten sich die Umsätze um 4,6 Prozent und die Exporte um 3,1 Prozent. Die Auftragseingänge stagnierten auf dem Niveau von 2023. Der Hauptgrund für diese negative Entwicklung sind die geopolitischen Spannungen. Leider hat sich aufgrund der aggressiven Zollpolitik der neuen US-Regierung das Investitionsklima in diesem Jahr weiter verschlechtert. Wir müssen aber nach vorne schauen und konsequent in Forschung, Entwicklung und neue Technologien investieren. Es ist mir bewusst, dass dies eine grosse Herausforderung ist – insbesondere für KMU.

Können Sie beziffern, wie viele Unternehmen in der Schweiz im Bereich Mobilität und speziell im Automobilsektor tätig sind? In welchen Bereichen steht die Branche besonders unter Druck – und was sind die Hauptursachen dafür?

Im Bereich Mobilität sind mehrere Hundert Unternehmen aktiv, davon etwa 300 als Zulieferer für die globale Automobilindustrie. Die meisten sind hochspezialisierte KMU, die in internationalen Wertschöpfungsketten eine Schlüsselrolle spielen – insbesondere im Premium- und Nischensegment. Unter Druck stehen vor allem die Zulieferer der deutschen Automobilindustrie, die in einer tiefgreifenden Krise steckt.
 

«Die Mobilität der Zukunft muss multimodal, vernetzt und ressourcenschonend sein.»

Das diesjährige Swissmem Symposium steht unter dem Motto: «Mobilitäts-Revolution: Tech-Industrie in der Sackgasse?» Sehen Sie die Tech-Industrie in der Schweiz durch aktuelle Entwicklungen bedroht?

Ich glaube nicht, dass wir uns in einer Sackgasse befinden. Aber wir stehen an einer Wegkreuzung. Es gilt die Weichen richtig zu stellen, damit wir auch künftig erfolgreich bleiben. Ich bin zuversichtlich, dass dies der Schweizer Tech-Industrie gelingen wird. Unsere Unternehmen sind es gewohnt, sich in einem dynamischen Umfeld zu behaupten. Unsere Innovationskraft und die Fähigkeit, sich agil auf neue Rahmenbedingungen einzustellen, sind zentrale Stärken. Dennoch dürfen wir die aktuellen Entwicklungen nicht unterschätzen. Der rasante technologische Wandel, zunehmender Protektionismus, steigende Produktionskosten und unsichere Lieferketten sind ernstzunehmende Herausforderungen.

Mit welchen Entwicklungen rechnen Sie fĂĽr die Tech-Industrie in den kommenden Monaten?

Ich befürchte, dass uns die geopolitischen Unsicherheiten noch eine Weile begleiten werden. Die meisten Indikatoren weisen noch nicht auf eine Erholung hin. Vieles hängt davon ab, ob sich der globale Handelskonflikt weiter verschärft oder ob wieder etwas mehr Vernunft einkehrt. Letzteres wäre die Grundvoraussetzung, damit weltweit wieder mehr Vertrauen in eine positive Wirtschaftsentwicklung entsteht und mehr investiert wird.

Inwiefern werden protektionistische Tendenzen und neue Handelshemmnisse die Entwicklung der Mobilität und die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Tech-Industrie beeinflussen?

Zölle und nicht-tarifäre Handelshemmnisse sind der Erzfeind der Schweizer Industrie. Sie sind schlimmer als ein überbewerteter Schweizer Franken. Die Schweizer Tech- Industrie exportiert rund 80 Prozent ihrer Produkte und Dienstleistungen. Sie ist auf offene Märkte und verlässliche Rahmenbedingungen angewiesen. Das gilt auch für den Automotive-Bereich, wo internationale Kooperationen und globale Wertschöpfungsketten bestehen.

Einer der Referenten des diesjährigen Swissmem Symposiums, Prof. Dr.- Ing. Thomas Sauter-Servaes, ZHAW, sagte im Interview in der Technischen Rundschau (Ausgabe 5/25): «Der Verkehr von morgen muss mit weniger Autos gelingen.» Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung der Mobilität? Welche Trends und Konzepte erscheinen Ihnen besonders vielversprechend?

Ich bin ĂĽberzeugt, dass die Mobilität der Zukunft multimodal, vernetzt und ressourcenschonend sein muss. Dabei mĂĽssen die BedĂĽrfnisse von Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt in Einklang gebracht werden. Generell wird die intelligente VerknĂĽpfung verschiedener Verkehrsträger an Bedeutung gewinnen. Technologisch spielen dabei die Elektromobilität, Wasserstofftechnologie und autonome Systeme eine wichtige Rolle. Zudem ermöglicht die Digitalisierung neue Mobilitätskonzepte wie Carsharing, Ridepooling und On-Demand-Angebote. Besonders 
 

Welche Folgen haben diese Entwicklungen für den Werk- und Denkplatz Schweiz? Auf welche Stärken kann sich die Schweiz konzentrieren?

Die Stärken der Schweizer Tech-Industrie liegen in der hohen Innovationskraft, der exzellenten Ausbildung der Fachkräfte, den engen Verbindungen zwischen Forschungsinstitutionen und den Unternehmen sowie in der Fähigkeit, komplexe, qualitativ hochwertige Lösungen zu entwickeln. Viele Unternehmen sind in ihren Nischen Weltmarktführer. Das gilt insbesondere für die Fertigungsindustrie, aber auch für Hersteller in der Sensorik, Robotik oder der Software für industrielle Anwendungen. Wir haben die Fähigkeiten und Kompetenzen, um die Transformation der Mobilität mitzuprägen. Sie ist deshalb eine Chance für die Schweizer Tech-Industrie.

Gibt es auch Schwächen oder Gefahren?

Ohne Fachkräfte gibt es keine erfolgreiche Zukunft. Und hier besteht seit Jahren ein Mangel, der sich in den nächsten Jahren nur schon aus demografischen Gründen verschärfen wird. Die Ausbildung des Nachwuchses ist deshalb eine zentrale Aufgabe, um unser hohes Niveau langfristig halten zu können. Doch das wird nicht ausreichen. Die Branche ist auch künftig darauf angewiesen, fehlende Fachkräfte im Ausland rekrutieren zu können. Es ist essenziell, dass die Personenfreizügigkeit mit der EU bestehen bleibt. Und deshalb ist es wichtig, dass mit den Bilateralen III ein tragfähiger Rahmen im Verhältnis zur EU geschaffen wird.

Wie gut sind die Schweizer Tech-Unternehmen Ihrer Meinung nach bereits auf die neuen Herausforderungen und Technologien im Mobilitätsbereich eingestellt?

Die Schlüsseltechnologien entwickeln sich in einem rasanten Tempo. Die Firmen wissen, dass sie kontinuierlich in Forschung und Entwicklung investieren müssen, um in diesem dynamischen Umfeld bestehen zu können. Und die meisten tun dies auch. Gerade im Bereich Elektromobilität, Digitalisierung und nachhaltige Produktion sind zahlreiche Schweizer Firmen führend oder besetzen wichtige Nischen. Es gibt jedoch Unterschiede. Grosse Unternehmen haben den Vorteil, dass sie meist über die notwendigen Ressourcen für die Weiterentwicklung verfügen. Dem gegenüber kämpfen KMU oft mit der Geschwindigkeit des Wandels sowie mit knappen finanziellen Mitteln.

Welche strategische Positionierung empfehlen Sie den Unternehmen, um sich für die anstehenden Veränderungen optimal aufzustellen?

Ich kann den Unternehmen keine pauschale Empfehlung geben. Die jeweiligen Märkte, Kundenbedürfnisse und Technologien unterscheiden sich teils stark. Die Firmen kennen ihr Umfeld besser als ich. Und sie sind fähig, die adäquate Positionierung zu erarbeiten. Wenn es einen gemeinsamen Nenner gibt, dann ist es die Fokussierung auf Innovation, Qualität und Nachhaltigkeit. Die zunehmende technologische Komplexität sowie immer neue Regulierungen überfordern allerdings viele Unternehmen. Um Schritt halten zu können, sind heute Kooperationen mit Drittfirmen, Hochschulen und Forschungsinstituten für die meisten Firmen unverzichtbar.
 

«Wir haben die Fähigkeiten und Kompetenzen, um die Transformation der Mobilität mitzuprägen.»

Wo finden die Unternehmen angesichts dieser Herausforderungen UnterstĂĽtzung?

Zum Beispiel bei uns – wir stärken die Innovationskraft sowie die technologische Kompetenz der Mitgliedfirmen, indem wir Expertenwissen vermitteln und als Brückenbauer für Partnerschaften mit Forschungsinstitutionen, unterschiedlichen Industriezweigen, Regulierungsgremien und Technologiemessen agieren. Bei regulatorischen Fragestellungen sowie der Normierung stellt Swissmem auch «Good practice»-Beispiele zur Verfügung.

Im globalen Wettbewerb: Wie schätzen Sie die Zukunftsfähigkeit der Schweizer Tech Unternehmen im internationalen Vergleich ein?

Grundsätzlich sind die Unternehmen der Schweizer Tech- Industrie im internationalen Vergleich hervorragend positioniert – insbesondere in anspruchsvollen, technologiegetriebenen Nischen. Zudem geniessen unsere Firmen weltweit einen exzellenten Ruf für Kundennähe, Qualität, Präzision und Innovationskraft. Aber wir dürfen uns nicht auf den Lorbeeren ausruhen, denn die Konkurrenz schläft nicht. Um unsere Spitzenposition zu halten, müssen wir konsequent in Bildung, Forschung und Digitalisierung investieren sowie die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen – zum Beispiel mit neuen Freihandelsverträgen und Bürokratieabbau – weiter verbessern.

E-Mobilität gilt als zentraler Baustein der künftigen Mobilität, mit zahlreichen technologischen Teilbereichen wie Antrieb, Energiespeicherung, Ladeinfrastruktur und Dienstleistungen. Wo sehen Sie für Schweizer Unternehmen neue Geschäftsfelder und Chancen?

Chancen sehe ich in den Bereichen Hochleistungsbatterien, Leistungselektronik, Leichtbau, intelligente Ladesysteme und Softwarelösungen für das Energiemanagement. Auch Dienstleistungen rund um die Wartung sowie die Optimierung und Vernetzung von Ladeinfrastruktur eröffnen neue Geschäftsfelder. Da die Schweiz traditionell stark in der Entwicklung von Präzisionskomponenten und der Systemintegration ist, können unsere Unternehmen in internationalen Wertschöpfungsketten eine zentrale Rolle spielen – etwa als Zulieferer für Premiumhersteller oder als Anbieter spezialisierter Lösungen für Flottenmanagement und Infrastruktur.

Welche Komponenten oder Nischen in zukünftigen Mobilitätslösungen bieten insbesondere für kleine, hochspezialisierte Firmen besondere Chancen?

Kleine, hochspezialisierte Firmen profitieren besonders von Nischen, in denen höchste Präzision, Zuverlässigkeit und Innovationskraft gefragt sind. Beispiele sind Sensorik für autonomes Fahren, intelligente Steuerungssysteme, innovative Materialien für Leichtbau oder Spezialkomponenten für alternative Antriebe. Auch Softwarelösungen, die Mobilitätsdaten auswerten und Prozesse optimieren, bieten ein grosses Potenzial. Entscheidend ist, dass die Unternehmen flexibel bleiben und sich auf Märkte konzentrieren, in denen sie einen Mehrwert bieten können.

Neue Mobilitätskonzepte erfordern oft auch neue Infrastrukturen. Wie ist die Schweiz diesbezüglich aufgestellt und welche Chancen ergeben sich daraus?

Die Schweiz verfügt über eine moderne, leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur und ist in der Lage, neue Technologien rasch zu integrieren. Der Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge, die Digitalisierung im öffentlichen Verkehr sowie die intelligente Vernetzung verschiedener Verkehrsträger sind zentrale Handlungsfelder. Hier ergeben sich Chancen für Schweizer Unternehmen, innovative Lösungen zu entwickeln und als Pilotmärkte für neue Technologien zu dienen. Die enge Zusammenarbeit zwischen Industrie, Politik und Forschung ist dabei ein entscheidender Erfolgsfaktor.

Welche Rolle spielen Recycling- und Kreislaufwirtschaftskonzepte in der Mobilität der Zukunft und wie kann sich die Schweiz hier positionieren?

Recycling und Kreislaufwirtschaft werden für die Mobilität der Zukunft unverzichtbar sein. Das betrifft unter anderem die Rückgewinnung von Rohstoffen aus Batterien oder die Wiederverwertung von Leichtbaumaterialien. Die Schweiz hat hier dank ihrer Innovationskraft und hohen Umweltstandards die Chance, Vorreiterin zu werden. Unternehmen, die frühzeitig in ressourcenschonende Prozesse und neue Geschäftsmodelle investieren, können sich Wettbewerbsvorteile sichern und einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten.

Abschliessend: Wie werden Sie persönlich im August zum Swissmem Symposium anreisen – und wie würden Sie sich wünschen, in zehn Jahren dorthin zu reisen?

Ich wohne nicht so weit weg vom Lake Side in Zürich entfernt und werde mit dem öffentlichen Verkehr zum Swissmem Symposium anreisen. In zehn Jahren hoffe ich, dass ich die Reise in einem intelligent vernetzten, emissionsfreien Verkehrssystem antreten kann, das verschiedene Verkehrsträger nahtlos kombiniert und so einen Beitrag zu einer klimafreundlichen, effizienten Mobilität leistet. Das wäre nachhaltige Mobilität «made in Switzerland». (sma)
 

23. Swissmem Symposium

Am Donnerstag, 28. August 2025, findet im Lake Side Zürich das 23. Swissmem Symposium statt. Das Veranstaltungsmotto in diesem Jahr lautet: «Mobilitäts-Revolution: Tech-Industrie in der Sackgasse?» Führende Experten und Branchenvertreter analysieren die makroökonomischen Rahmenbedingungen, technologische Entwicklungen und deren Auswirkungen auf die Tech-Industrie in Deutschland, Europa und der Schweiz.

Das Programm sowie eine Anmeldemöglichkeit sind zu finden unter: www.swissmem-symposium.ch

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Letzte Aktualisierung: 24.06.2025